„Assauer – das ist nicht typisch“

Anerkennung für Leipziger Initiative, die Angehörigen von Alzheimer-Patienten beisteht

Die Alzheimer Angehörigen-Initiative Leipzig zählt gerade mal 15 Mitglieder. Ihr Wirken aber hat sich bundesweit herumgesprochen. Weil sie für Betroffene eine Arbeit leistet, die Hand und Fuß hat, wurde sie dieser Tage von der gemeinnützigen Phineo AG, einer Plattform für Soziale Investoren, als Projekt „mit besonderer Wirksamkeit“ geehrt. Ausgewählt aus ursprünglich 140 Initiativen bundesweit. „Allein, dass wir zur Auszeichnung nach Stuttgart auch wirklich fahren konnten, haben wir wiederum einem der von uns selbst geschaffenen Projekte zu verdanken“, deuten Monika und Josef Hille, die dem Verein vorstehen, schmunzelnd an.

Monika Hilles Mutter erkrankte vor zehn Jahren an Alzheimer und wird seither von ihr und ihrem Mann zuhause versorgt. Die Krankheit hat ihr Leben umgekrempelt, wurde zum alles bestimmenden Mittelpunkt. Denn: „So, wie es neulich der Film über den Alzheimer-Patienten Rudi Assauer zeigte – das ist nicht typisch, das entspricht nicht dem realen Leben“, haben beide erfahren. Sehr schnell hatte sich dem Ehepaar offenbart, wo sich „im realen Leben“ Defizite auftun: im häuslichen, im pflegerischen, im behördlichen, im versorgungs- und medizinischen Bereich. „Gemeinsam wegfahren und außer Haus gehen ist für uns mittlerweile ein Problem. Also machen wir seither das Machbare und engagieren uns für pflegende Angehörige in ähnlicher Lage“, sagt Josef Hille.
Aus eigener Betroffenheit heraus wurden Hilles zur „Keimzelle“ besagter Leipziger Selbsthilfe¬initiative. Damit begonnen hatten sie 2008. Ehrenamtlich. „Zuerst richteten wir eine Demenzhilfe-Beratungsstelle ein, und ergänzend dazu 2011 eine Demenzhilfe-Sprechstunde im Gesundheitsamt. Wenn möglich, werden alle Familienangehörigen dabei einbezogen. Denn mit der Erkrankung müssen auch Söhne, Töchter und Enkel umgehen können. Und vielfach sind da auch, aus Unkenntnis entstehend, Emotionen und Aggressionen im Spiel. Dann gilt es die Wogen über das ,Verstehen’ zu glätten“, sagt Hille. „Der Fehler besteht häufig darin, dass man dem Demenzkranken sein Fehlverhalten erklären will. Dabei müssen wir eher lernen, dass Belehrungen nicht mehr verstanden werden. Vielmehr müssen wir versuchen, uns in die Welt des Kranken hineinzuversetzen.“ Nicht zuletzt sei dies und vieles mehr auch Gegenstand der Telefonberatung und Selbsthilfegruppenarbeit.
Zudem wird Aufklärungsarbeit betrieben – bei Vorträgen, per Printmedien. „Außerdem werden inzwischen in einem Schulungsprojekt ehrenamtliche Betreuungshelfer für den Raum Leipzig ausgebildet. 80 waren es bereits, der nunmehr zehnte Kurs dafür startet im März. Eine Tagesbetreuung haben wir allerdings auch organisiert. Mit 40 ehrenamtlichen Helferinnen ermöglichen wir so eine stundenweise Betreuung Demenzkranker. Und nicht zuletzt ist unser ,Demenzhilfe-Mobil‘ in der aufsuchenden Beratung unterwegs“, zählt Josef Hille auf. Und Ehefrau Monika ergänzt: „Übrigens konnten wir nur deshalb zur Ehrung nach Stuttgart fahren, weil zwei unserer ehrenamtlichen Helferinnen stundenweise die Betreuung meiner Mutter übernahmen.“
Inzwischen scheint die Initiative eine Instanz zu sein: „Ärzte und Pflegekassenberater schicken Ratsuchende zu uns. Wir kooperieren mit Pflegeeinrichtungen und Bereichen der Universität Leipzig sowie weiteren Netzwerkpartner“, betont Josef Hille. Er selbst nimmt am Runden Tisch Pflege im Sächsischen Landtag teil, „um den Anliegen pflegender Angehöriger Gehör“ zu verschaffen.
Nachvollziehbar ist jedenfalls: Hilles haben einen viel zu ausgefüllten Tag, um sich an diversen Wettbewerben zu beteiligen. Eines Tages hatten sie jedoch die Phineo-Experten diesbezüglich angeschrieben. Sie waren im Internet auf die Initiative aufmerksam geworden. Um Spendern, Stiftungen und Unternehmen zu zeigen, wie sie das soziale Engagement im Themenfeld Demenz stärken können, hatte das unabhängige Analyse- und Beratungshaus in Berlin aus bundesweit 140 Projekten 40 Kandidaten ausgewählt und in einem mehrstufigen Analyseverfahren bezüglich Leistungsfähigkeit, Wirkungspotenzial und Nachhaltigkeit evaluiert. 13 von ihnen wurden Ende Januar in Stuttgart ausgezeichnet. „An unserem Projekt wurde das differenzierte, trägerunabhängige und zielgruppengerechte Angebot als besonders positiv bewertet“, so Josef Hille.
Wenngleich die Ehrung nicht dotiert ist: „Die Anerkennung tut uns allen gut“, freut es ihn. Und allemal toll ist es gewiss, für potenzielle Spender fortan sozusagen eine erste Adresse zu sein. „Wir hoffen jetzt zugleich aber auch, dass Stadt und Land der von uns geleisteten Arbeit künftig mehr Aufmerksamkeit schenken und uns auch mal finanziell beistehen“, so Hille.

 


Monika und Josef Hille freuen sich über die jüngste Anerkennung ihres Engagements. „Das ist zugleich eine Würdigung aller unserer Vereinsmitglieder und ehrenamtlichen Mitstreiter“, betonen sie. Foto: André Kempner