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Von Ministerin Schröders Vorschlag einer Teilzeit halten Betroffene wenig

Leipzig. Für Berufstätige, die Angehörige pflegen, will Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eine Pflegezeit einführen. Ihre vorgeschlagene Zwei-Jahres-Teilzeit lehnt die Wirtschaft ab: Das geht ihr zu weit. Die Sozialverbände lehnen auch ab: Das geht ihnen nicht weit genug. Ein Besuch bei Betroffenen zeigt: Der häuslichen Pflege helfen keine Pauschallösungen. Schon gar nicht bei Demenzkranken.

Von Andreas Friedrich

Man könnte aufzählen, wann der Tag für Monika Hille beginnt und wann er endet. Doch das wäre ungenau. Denn mitunter gibt es weder Anfang noch Ende. Die Leipzigerin betreut ihre demenzkranke Mutter. Die 81-Jährige blickt freundlich, wenn man sie grüßt und grüßt zurück. „Sie lebt total im Augenblick“, relativiert ihre Tochter. Momente später hat sie den Ankömmling schon vergessen. Sie merkt sich nicht alltägliche Handgriffe – wo sie ihre Laufhilfe anfassen, wie sie ihre Zahnprothese einsetzen muss, dass sie essen muss. Für Monika Hille heißt das in der Regel Dienst von früh um sechs bis abends um zehn, sieben Tage die Woche: anziehen, waschen, Frühstück machen, alle zwei Stunden zur Toilette, Mittag, Kaffee, Abendbrot, Ausziehen, ins Bett bringen. Dazwischen Zeitschriften blättern, reden. „Sie war eine starke Frau, 30 Jahre lang Betriebsdirektorin“, erinnert sich Monika Hille. Heute freut sich ihre Mutter über Tiersendungen.
Frau Hille könnte noch arbeiten gehen, aber sie kann nur aus dem Haus, wenn Mutter Anna zur Tagespflege abgeholt wird. Zweimal die Woche von acht bis vier. Das reicht nicht für einen Job, es reicht gerade, um alles Nötige zu erledigen. Ihr kann kein ambulanter Dienst helfen, weil Stundenbetreuung nichts bringt. Folglich nützt ihr auch keine Pflegeteilzeit. Sie will und muss sich um ihre Mutter kümmern. Ins Heim gibt sie sie nicht. Die durchschnittliche Verweildauer Demenzkranker dort beträgt sechs Monate, hat ihr Mann Josef Hille recherchiert. Die Entscheidung fürs Heim wäre keine Lösung. Es wäre ein Urteil. Monika Hille lobt die Familienministerin für ihren Vorschlag. Nicht weil sie ihn gut findet, aber weil er die Diskussion entfacht. „Einer muss ja mal aufs glatte Eis gehen“, sagt sie. Es hätte auch Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sein können. Der ist für Pflege zuständig. Doch den hören die Hilles immer nur sagen, dass das Geld im Gesundheitssystem bald alle ist. Nun steht die junge Frau Schröder auf dem Eis, und alle schubsen an ihr rum. Wirtschaftsverbände schimpfen, die zweijährige Pflegeteilzeit zu reduzierten Bezügen über vier Jahre hinweg ginge viel zu weit. Monika Hille kann sie verstehen: „Das ist eine Belastung für ein Unternehmen. Auch ist unklar, ob pflegende Angehörige in dieser Zeit nicht ganz aus dem Job aussteigen. Man ist irgendwann fix und fertig.“
Die Sozialverbände kritisieren den Ministervorschlag, weil sie zwei Jahre für zu kurz halten. Die durchschnittliche Pflegezeit betrage acht Jahre. Monika Hille versteht auch diese Meinung. Sie betreut ihre Mutter nun sechs Jahre und schränkt zwar ein: „Es gibt Fälle, da reichen zwei Jahre Pflege vielleicht. Bei Demenz aber nicht.“
Das ist eine Aussage, die Schröders Vorschlag zum Kippen bringen könnte. Beruf und Pflege sind offensichtlich noch weniger vereinbar als Beruf und Kinder. Und für die vielen Geringverdiener unter denen, die sich um Angehörige kümmern, ist die Teilzeit ohnehin kein
Modell, weil dann gar kein Geld mehr bleibt und zudem eine Rentenkürzung droht. Meist pflegten Frauen, die verdienten ohnehin weniger. Dann bekämen sie zwei Drittel von fast Nichts, gibt Monika Hille zu verstehen. Pflegekritiker Claus Fussek vergleicht die Idee, als spritze man mit einer Wasserpistole gegen einen Waldbrand. „Jeder, der nur rudimentäre Kenntnisse über Pflegeaufwand besitzt, müsste sofort erkennen, dass dieser Vorschlag der falsche Ansatz ist“, urteilt Fussek. Auch weil von den etwa 2,25 Millionen Pflegebedürftigen bundesweit (Zahl von 2007) über die Hälfte an Demenz und Alzheimer erkrankt sind. In Sachsen von etwa 130000 Pflegefällen rund 80000. Jedes Jahr steigt die Zahl um fünf bis zehn Prozent. Etwa zwanzig Prozent der 80-Jährigen, knapp die Hälfte der 90-Jährigen ist betroffen. „Über zwei Drittel der Demenzkranken werden von Angehörigen gepflegt. Die sind Deutschlands größter Pflegedienst“, sagt Josef Hille. Ein Dienst auf eigene Kosten. Am Anfang gibt es für Demente nicht mal eine Pflegestufe. Sie sind aktiv und mobil. Dass manche Hamsterkäufe tätigen, weil sie vergessen haben, dass sich zu Hause bereits überflüssige Güter türmen, gilt nicht als Krankheitsbild.
Monika Hille empfiehlt einen Blick nach Österreich. Dort zahlt der Staat für jeden Schwerstfall monatlich 1500 Euro. Folglich werden 83 Prozent aller Patienten zu Hause gepflegt. Davon hätte zwar die Pflegeindustrie nichts, aber die Angehörigen Demenzkranker. „Bekämen wir einen Teil des für die ambulante Pflege vorgesehenen Geldes, hätten wir einen kleinen Ausgleich für den Einkommensausfall“, fordert Monika Hille. Auf die Ministerin kommt sie dann doch noch mal zurück. „Die Politik redet über ein Problem und entscheidet, ohne vorher mit denen zu reden, die es betrifft“, kritisiert sie und beendet das Gespräch. Sie muss nach ihrer Mutter sehen.

Josef Hille: Über zwei Drittel der Demenzkranken werden von Angehörigen gepflegt. Die sind Deutschlands größter Pflegedienst.

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